From Lab to Intervention and Back

Doing and Undoing Diversity in Obesity Research, Treatment and Prevention

Projektmitarbeiter*innen: Ulrike Felt, Kay Felder, Michael Penkler, Bernhard Winkler, Theresa Öhler

WWTF - 05/2012-04/2016

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Diversität im Gesundheitskontext

Der Begriff der „Diversität“ hat in den letzten Jahren innerhalb der medizinischen Praxis, der Forschung wie auch innerhalb der Gesundheitsförderung eine erhöhte Aufmerksamkeit erlangt. Während man früher oft davon ausging, dass menschliche Körper sich im wesentlichen gleichen und es daher ausreicht, sich mit weitgehend standardisierten Patienten auseinanderzusetzen, hat sich zunehmend der Standpunkt durchgesetzt, dass Menschen, was Gesundheit betrifft, sowohl unterschiedliche Veranlagungen, Selbstverständnisse als auch Bedürfnisse haben. Alter, Geschlecht, Bildung, ethnische oder kultureller Herkunft machen einen Unterschied, was etwa Gesundheitsrisiken oder Präventionsverhalten sowie den Gebrauch von gesundheitsbezogenen Dienstleistungen betrifft. Daher ist die medizinische Praxis und Forschung zunehmend aufgefordert, diesen Unterschieden Rechnung zu tragen und etwa die ethnische Herkunft von Betroffenen zu berücksichtigen bzw. geschlechts- und kultursensiblere Zugänge zu entwickeln.

Dabei stellen sich jedoch einige Fragen: Wie wird Diversität in spezifischen Zusammenhängen genau verstanden? Welche (oft impliziten und kulturell eingeübten) Ordnungs- und Klassifikationsmuster liegen diesem Begriff zu Grunde? Und welche Bedeutungen erhalten Unterschiede in der Praxis? Dabei ist es wesentlich, nicht aus den Augen zu verlieren, dass jede Kategorisierung oder Klassifikation niemals bloß rein deskriptiv verstanden werden kann, sondern immer starke Auswirkungen auf das über Menschen produzierte Wissen, aber auch auf das Selbstverständnis und den Alltag derer die im Fokus solcher Ordnungsversuche stehen, hat.

(Selbst-) Einteilungen und Unterscheidungen von Menschen in unterschiedliche Gruppen sind somit einerseits wesentlich, um auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen zu können, bergen aber gleichzeitig die Gefahr in sich, Selbstverständnisse und Fremdzuschreibungen zu verstärken und Unterschiede zwischen Personen als essentiell festzuschreiben – ein scheinbar paradoxes Problem, mit dem viele ÄrztInnen, ForscherInnen und in der Gesundheitsvorsorge Tätige, aber auch BürgerInnen konfrontiert sind. Umso wichtiger erscheint es, Diversität im Gesundheitskontext als Prozess und Praxis zu verstehen und diese zu analysieren.

Projektziele – Diversitätspraktiken im Kontext von Adipositas verstehen

Das Ziel dieses Projektes ist es, ein tieferes Verständnis der Herstellung von und des Umganges mit Diversität im österreichischen Gesundheitsbereich anhand des Beispiels Adipositas zu entwickeln. Adipositas ist für eine solche Untersuchung besonders geeignet, da dieses Gesundheitsproblem als tief verknüpft mit Lebensformen und Essen als kulturellem Phänomen verstanden wird – beides Bereiche, in denen kulturelle Unterscheidungen im weitesten Sinne eine wesentliche Rolle spielen. Wir untersuchen, welche „Unterschiede“ in diesem Bereich bedeutsam werden, wie diese von im Gesundheitsbereich Tätigen aber auch von Betroffenen selbst hergestellt und verstanden werden, aber auch wie damit in der Praxis umgegangen wird.

Wir betrachten Formen von Diversität und das damit verknüpfte Wissen über den Körper im Kontext von Adipositas in drei unterschiedlichen, jedoch miteinander verbundenen Bereichen in Österreich: (1) Forschungseinrichtungen; (2) Gesundheitsförderungsmaßnahmen, z.B. Informationstage und Abnehmprogramme; (3) klinische Einrichtungen, in denen als adipös diagnostizierte Personen behandelt werden. Wir untersuchen, wie Individuen in diesen Bereichen beschrieben und eingeordnet werden und sich selbst beschreiben und einordnen, wann und wie Diversität explizit thematisiert und wann sie unsichtbar gemacht  wird, und inwiefern Kategorien wie Geschlecht, Bildung, kulturelle Identität und Migration (aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten, aber auch zwischen unterschiedlichen Lebensbereichen) eine Rolle spielen.

Das Ziel dieser Forschung ist nicht nur zu akademischen Debatten beizutragen, sondern auch einen reflexiven Beitrag zum Umgang mit Diversität im Bereich Adipositas zu leisten.

Methodische Ansätze

Um Diversitätspraktiken in unterschiedlichen Kontexten rund um die Erforschung, Prävention und Behandlung von Adipositas zu untersuchen, wird eine Kombination verschiedener qualitativer sozialwissenschaftlicher Methoden verwendet:

  • Semistrukturierte qualitative Interviews mit relevanten AkteurInnen aus allen drei Untersuchungsbereichen. Wir werden Interviews mit ForscherInnen, in der Gesundheitsförderung Tätigen, medizinischem Personal, sowie mit PatientInnen und Teilnehmenden an Gesundheitsförderungsprogrammen durchführen.
  • Ethnographische Feldarbeit. Ein Teil der Beobachtungen wird in zwei Ambulanzen in Wien, an denen PatientInnen mit Adipositas behandelt werden, durchgeführt. Weiters werden wir Gesundheitsförderungskurse und ähnliche Angebote im Adipositasbereich ethnographisch beobachten.
  • Dokumentanalysen von wissenschaftlichen Publikationen, Aufklärungs- und Informationsbroschüren, gesundheitspolitische Dokumente und anderen relevanten Dokumenten aus unseren Untersuchungsbereichen.

Publikationen

Felt, Ulrike, Felder, Kay, Penkler, Michael (2016): How differences matter: tracing diversity practices in obesity treatment and health promotion. Sociology of Health & Illness Vol. 38 No. 5. DOI 10.1111/1467-9566.12446 <download>


Felder, Kay, Felt, Ulrike, Penkler, Michael (2015) 'Caring for Evidence. On the Intertwinement of Research and Care in an Obesity Outpatient Clinic.' Accepted for publication in Medical Anthropology <Download preprint>


Penkler, Michael, Felder, Kay and Felt, Ulrike (2015) 'Diagnostic Narratives: Creating Visions of Austrian Society in Print Media Accounts of Obesity', Science Communication 37(3):314-339. <Download preprint>


Felt, Ulrike, Felder, Kay, Öhler, Theresa and Penkler, Michael (2014) 'Timescapes of obesity: Coming to terms with a complex socio-medical phenomenon', health: An Interdisciplinary Journal for the Social Study of Health, Illness and Medicine 18 (6): 646-664. <Download>

Medienberichterstattung

Beate Hausbichler, "Die vielen Schubladen für Übergewicht", Der Standard, 6. August 2015

Hanna Möller, "Das Übergewicht der Unterschiede", uni:view, 15. Juli 2015

Kontakt

Ulrike Felt
eMail: ulrike.felt@univie.ac.at
Tel: +43-1-4277-49611